Die weiße Gebirgskette des Himalajas liegt hinter uns. Brauntöne dominieren jetzt die Landschaft, die nicht weniger surreal deswegen auf uns wirkt. Ladakh begrüßt uns mit schönem Wetter – vorerst. In den nächsten Tagen wird Leh unser Stützpunkt sein, von der wir die zahlreichen Ausflüge zu den umliegenden Klöstern starten. Dabei bietet Leh alleine schon eine große Portion ladakhische Lebensfreude und buddhistische Kultur.
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Nach 10 min Fußmarsch vom Hotel stehen wir inmitten des Stadtkerns. Die zahlreichen Gästehäuser, Hotels, Souvenirgeschäfte und Restaurants wirken ziemlich deplatziert in Anbetracht der fast völlig leeren Straßen. Sie sind aber auch allesamt geschlossen. Nur die Schilder und Auslagen weisen darauf hin, was hier im Sommer los sein muss. Am ersten Tag sind vielleicht gerade einmal 15 Touris in der Stadt unterwegs. In den zehn Tagen unseres Aufenthaltes in Ladakh wurden die BesucherInnen langsam aber stetig mehr. Im Juli und August wird dann der alljährliche touristische Ansturm in Ladakh erwartet. Und die Tourismuszahlen sind auch für die nächsten Jahre im Steigen begriffen. Die Leute haben Ladakh eben als Trekkingparadies entdeckt und während man in Tibet zunehmend in seiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird, kann man sich hier trotz großer Militärpräsenz in Ruhe die buddhistische Kultur zu Gemüte führen.
Als wir uns Richtung Stadtkern bewegen, stehen wir vor einer aufgerissenen Hauptstraße quer durch das Stadtzentrum. Kanalarbeiten werden jetzt noch erledigt. Im Sommer soll schon wieder alles zugemacht sein. Hinunter blickend auf die offengelegten Rohre sehen wir die Arbeiterinnen schuften. Wenn bis Sommer alles fertig sein soll, ist Eile angesagt. Dass übrigens Frauen am Bau arbeiten ist in ganz Indien und vor allem in Ladakh nichts Außergewöhnliches. |
Ich habe anfangs schon erwähnt, dass wir mit zwei anderen Reisenden im Flugzeug Richtung Leh unterwegs waren. Helene und ihr Vater, beide aus Bayern, verbrachten nach ihrer mehrwöchigen Reise durch Nepal nun auch eine gute Woche in Ladakh, bevor es für Helene für ein Praktikum im Krankenhaus weiter nach Srinagar ging. Schnell ist klar, dass wir dieselben Reiseziele anpeilen und die Trips nach Lamayuru und Alchi gemeinsam machen werden. Und auch wenn es zuerst natürlich vor allem eine Frage der Kosten war, denn die Taxipreise für ganze Tage sind alles andere als günstig, haben wir Helene und ihren Vater schnell lieb gewonnen. Am ersten Tag versuchen wir gemeinsam ein Restaurant zu finden, um unsere Pläne für die nächsten Tage zu besprechen. Aber das gestaltet sich aufgrund der Nebensaison schwieriger als gedacht. Das Lokal, das schließlich auch jetzt schon geöffnet hat, wird zum Hot Spot der wenigen Touris in der Stadt. Hier tummeln sich alle – nicht nur aus Mangel an Alternativen, sondern auch wegen dem guten Essen. Die tibetischen gefüllten Teigtaschen namens Momos sind ausgezeichnet und auch die angeschlossene Konditorei inklusive regionalem Yak-Käse bietet alles, was das Herz begehrt.
Abends warten wir vergebens auf einen klaren Himmel. Trotzdem lassen wir uns den Weg auf einen kleinen Hügel mitten in der Stadt nicht nehmen. Der Blick von hier auf die Burg und das Gebirge im Hintergrund ist fabelhaft. Wir können es gar nicht fassen wirklich in Ladakh gelandet zu sein. Leh verzaubert uns und Ladakh war immer einer unser großen Träume, von dem wir nicht gedacht hätten, dass er so schnell in Erfüllung gehen würde. Ein paar Tage Ladakh in unsere Nordindienreise einzuschieben und einen Flug nach Leh im April zu buchen war eine unserer Schnapsideen, über die ich unsagbar glücklich bin.
Bei unseren Spaziergängen durch die Stadt führen uns unsere Wege auch in den ältesten Teil der Stadt. Wo wir auch hinkommen, spätestens nach einem freundlichen Juley! („Hallo“ auf Ladakhi) ist das Eis gebrochen. Die Ladakhis scheinen sich immer zu freuen, wenn wir grüßen und wenn sie selber ihre lauten „Juleys“ loslassen, dann scheint die Sonne selbst aufzugehen, so voller Freude ist ihr ganzes Gesicht. Das ist auch beim Goldschmied nichts anderes, den wir in seinem kleinen offenen Laden in der Altstadt vorfinden. Es sind keine hochwertigen Materialien, die er hier verarbeitet und verkauft und nachgeahmte Türkis kann natürlich mit den Kostbarkeiten in den Klöstern Ladakhs nicht mithalten – aber, all das ist ladakhisches Kunsthandwerk. Wir werfen gleich ein Auge auf den blattförmigen Anhänger, der uns für eine gewöhnliche Kette eine doch zu eigenartige Form hat. Die Anhänger sind in Wahrheit dekorative Löffel, so wie sie die Ladakhis traditioneller Weise um den Hals getragen haben. Das erfahren wir von dem Goldschmied, dem unserer Verwirrung wohl nicht entgeht. Er sitzt den ganzen Tag über hier und als er uns seine Arbeitsschritte zeigt, wird klar, er ist voll in seinem Element ein Schmied aus Leidenschaft, so scheint es.
Als wir uns durch die Altstadtgasen bewegen, wundert es uns also nicht mehr, als wir einem muslimischen Mädchen mit Kopftuch und traditioneller Kleidung begegnen. Im Türrahmen stehend wartet sie auf ihren Vater, der mit ihr kurz nach unserem Besuch ins Stadtzentrum gehen wird. Die Schüchternheit des Mädchens macht sic h nur anfangs bemerkbar und wird schließlich getilgt von den selbstbewussten Blicken in die Ferne. Die Verständigung könnte wie so oft leichter sein und doch öffnen sich mit einem Lächeln alle Türen.
So sehr wir die Zeit in Ladakh auch genießen, die letzten zwei Tage in Leh werden dann noch zur reinsten Tortur. Irgendwann bin ich an den Punkt angelangt, dass ich die immer stärker werdenden Zahnschmerzen nicht länger ignorieren kann. Anfangs glaube ich noch, die Sache ist mit starkem Antibiotika erledigt. Mein Glück ist es, dass zwei deutsche Reisende, die auch in unserem Hotel übernachten, mir gleich die E-Mail-Adresee von einem Zahnarzt geben hier in Leh. Ich schreibe dem jungen Briten, der gerade ein Auslandspraktikum hier macht, also und hoffe, dass er sich möglichst bald meldet. Damit, dass er dann gleich abends an unsere Zimmertür klopft, um nachzusehen wie es mir geht, habe ich allerdings gar nicht gerechnet. Ich soll gleich morgen in die Zahnarztpraxis einer englischen Privatschule kommen. Er und seine Kollegin aus Schweden würden sich dann darum kümmern. Andreas besorgt mir noch die vorerst verschriebenen Medikamente, bevor die Apotheke schließt und ich versuche trotz der Schmerzen ein wenig Schlaf abzubekommen. Gleich in der Früh geht es dann zur Schule und schnell wird klar, dass sich die Wurzel des Zahns infiziert hat. Die verschriebenen Tabletten alleine hätten an den Schmerzen nichts ändern können und ich bin unglaublich froh, bei dem Pech im Nirgends in Indien eine Wurzelinfektion zu bekommen, so schnell in kompetente Hände zu geraten. Der junge Arzt und die junge Ärztin sind sehr bemüht, sie haben den ganzen Laden auch erst auf Vordermann gebracht. Noch bevor sie hier ankamen, war so gut wie nichts von der heutigen Ausrüstung der Praxis vorhanden. Sämtliche Zahnprobleme wurden gelöst, indem die Zähne einfach gerissen worden waren. Die heutige Ausrüstung erlaubt ihm immer noch nur eine provisorische Lösung meiner Wurzelinfektion. Der Zahnarztbesuch zuhause bleibt nicht aus, aber das habe ich auch gar nicht erwartet. Viel schneller und unkomplizierter als gedacht ist auch dieses vermeintliche Desaster also gelöst. Besonders in Indien scheint die Devise zu lauten, dass alles irgendwie immer funktioniert, selbst in den vermeintlich abgelegensten Regionen des Landes.